Mary am Meer

Monat: August, 2010

Ohne Macht

Du erkennst, dass du dein wirkliches Problem getroffen hast erst, wenn du ohnmächtig vor ihm stehst. Ratlos und auf eine zarte, sehr stille, tiefe Art getroffen, voll Traurigkeit. Du willst das nicht fühlen, und in diesem Moment nicht wegzurennen, ist wirkliche Tapferkeit. Du kannst es nicht annehmen. Das einzige, was du tun kannst, ist es zu betrachten und nicht weg zu rennen und anzunehmen, dass du es nicht annehmen kannst. 

Ich hoffe, dass das der Weg ist, sich näher zu kommen, denn ansonsten weiß ich auch nicht, was zu tun ist. Reihe mich ein, in die Reihe der Ratlosen.

Über die Stillen

Unsere Gesellschaft  macht stille Menschen stiller und die lauten lauter. „Survival of the fittest“ macht durchaus Sinn, wenn es darum geht ein Mamut zu erlegen. Der am schnellsten, stärksten ist, überlebt. 

Nur erlegen wir heute keine Mamuts mehr und legen (oder reden uns das zumindest ein) unseren Fokus auf Intelligenz. Wir sind Redner, statt Jäger. Das Problem ist, dass Klugheit nicht unbedingt viel mit dominanten Gehabe zu tun hat und so kommt es, dass das was Menschen tagtäglich, nicht nur halbzehn und nicht nur in Deutschland, von sich geben,  Scheiße ist. Leeres Gerede, das anscheinend nur den Zweck hat, sein Umfeld davon zu überzeugen, dass man besonders klug ist oder um sich selbst reden zu hören (denn seien wir mal ehrlich, wer hört dem anderen denn noch wirklich zu?)
Der allgemeine Aberglauben ist anscheinend, dass je schneller, überzeugter und lauter wir etwas behaupten, die Behauptung dadurch umso wahrer wird. 

Auf der Strecke bleiben die Stillen oder die die einfach ein wenig mehr Zeit brauchen ihre Gedanken zu sammeln. 
Niemand ist heute bereit diese Zeit zu geben, wir spielen alle ein Spiel und das heißt „Wer kann am schnellsten seine Zunge bewegen?“ 
Ich bin ein wenig wütend deswegen, nicht weil ich zu kurz komme, sondern weil ich keine Chance bekomme, die Gedanken der Menschen zu hören, die zurückhaltender sind. Wie oft denken wir, dass stille Menschen nichts zu sagen haben oder sogar dumm sind?

P.S.: Der Mond scheint in mein Bett und beruhigt mich: 
Der Schatz ist immer verborgen. So soll es sein.

Vielleicht…

Vielleicht ist gerade alles Ok für dich, dein Leben so, wie es ist. Vielleicht möchtest du keine Veränderung, weil eben alles Ok ist.Und wer weiß, ob die Zukunft besseres bringt? Du bist zwar nicht wirklich glücklich, aber stabil. Jeder Tag hat Momente, die du genießt und das scheint dir genug, um weiter zu machen. Du lässt das Nachdenken lieber sein, denn du willst nicht wissen, was dir tief in dir selbst begegnet. Der Gedanke an die Endlichkeit ist dir fremd, du hast das Gefühl, das Leben würde ewig so weiter gehen.

Vielleicht aber ist auch alles gerade gar nicht in Ordnung und du sehnst dich nach Veränderung, die alles besser machen soll. Und du wartest und erwartest, dass eine Veränderung von außen in dein Leben tritt, obwohl du eigentlich weißt, dass du damit anfangen musst. Aber du weißt nicht wie, traust dich auch nicht wirklich. All die weisenWorte erreichen nur deinen Kopf und machen dich am Ende noch leerer und trauriger, weil du sie nicht umsetzen kannst. Am Liebsten würdest du ganz woanders und dazu noch, ganz wer anders sein.
Vielleicht willst du auch gerade lieber sterben, weil dir das Leben zu anstregend ist. Sterben stellst du dir vor, wie ein langer erholsamer Schlaf, in dem du nicht handeln musst, weil du es dort gar nicht kannst, dein Bewusstsein ausgeschaltet ist. Du fragst dich, ob du an einen Gott glaubst, an jemanden, der dich mit Bewusstsein erschafen hat und obwohl du nicht sicher bist, ob es ihn überhaupt gibt, bist du wütend auf ihn: „Warum hast du mich denn nicht gefragt, ob ich den ganzen Wahnsinn überhaupt will?“
Du verstehst beim besten Willen nicht, was der Grund dafür sein soll, zuleben.
Vielleicht hast du aber auch den Sinn deines Lebens entdeckt. Dich hat jemand erschaffen und er hat dich nicht umsonst geschaffen. Du fühlst dich mit diesem Höheren verbunden und kannst nicht verstehen, warum die anderen das nicht sehen wollen? Alles, was du glaubst ist die Wahrheit, die du entdeckt hast. Dein Leben bekommt durch die Regeln endlich den benötigten Rahmen, deine Schwäche scheint sich, wie Wasser zu Wein, in Stärke zu verwandeln. Du fühlst dich von Gott ausgewählt und versucht vor ihm demütig zu sein. Bei deinen Mitmenschen gelingt es dir aber nicht, denn du guckst auf sie herab. Jeder, der nicht das glaubt, was du glaubt, der hat den Sinn seines Lebens verfehlt.
Oder vielleicht geht es dir gerade so gut, dass du nichts als Licht siehst. Alles wir gut. Alles ist gut. Wenn es doch nur jeder fühlen könnte. Die Natur spricht zu dir und offenbart dir seine Schönheit. Du willst dich auflösen in ihr, du hast plötzlich keine Angst vor dem Tod mehr, weil du ihn nicht als Ende siehst, sondern nur als nächste Stufe, als Überwindung von dem Gefühl des Getrennt seins. Du liest Rumi und Goethe und auch in ihnen willst du aufgehen, weil sie an die äußerste Grenze der Worte, des Sagbaren gekommen sind, sogar noch ein wenig darüber hinaus. Deine einzige Angst ist, dass dieses Gefühl wieder weggeht und du weißt, dass es wieder weggehen wird und du fürchtest dich, jetzt schon, vor der nachher um so stärker gefühlten Einsamkeit.
Vielleicht kämpfst du jeden Tag für andere und versucht ihre Probleme zu lösen. Es gibt so viel, was getan werden muss und deine Zeit ist zu knapp. Du würdest gerne die ganze Welt retten, manchmal bekommst du Panik, weil du merkst, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die Menschen sagen von dir, dass du ein lieber Mensch bist, du empfindest das nicht so, denn auch wenn dir dein Mitleid echt vorkommt, brauchst du es wie die Luft zum atmen. Denn du kannst nur durch andere empfinden, du hast den Kontakt zu dir verloren. Du hast dir irgendwann das Selbstmitleid verboten und dich von dir selbst abgeschnitten. Aber sobald du zur Ruhe kommst, spürst du die klebende Traurigkeit darüber, dich Selbst verloren zu haben.
Vielleicht stürzt du dich von einer Affären in die andere. Drogen aller Art sind dir Willkommen. Das Leben ist an sich sinnlos und du hast den Glauben in das Gute verloren. Es erscheint dir nur noch scheinheilig und falsch. Auch du spürst dich nicht wirklich und nimmst dich nur durch andere wahr. Die Bewunderung der anderen gibt dir den Kick, den du brauchst, um dich gut zu fühlen. Charismatisch, ansteckend, wirst du genannt. Jeder ist gerne mit dir zusammen. Denn du glaubst, niemanden zu brauchen und bringst das sehr glaubwürdig rüber, aber in Wirklichkeit brauchst du das „die anderen nicht brauchen, aber sie dich um so mehr“ so sehr. 
Egal, wer du bist, ich wünsch dir, dass du deinen Weg findest und du den Mut hast ihn zu gehen. Nur, weil es so schwer ist, ist es nicht unmöglich. Nur, weil es viel Schlechtes gibt, ist das Gute nicht verschwunden. 

Die Sache mit dem Ich

Hafez sagt:
„Wenn jeder alles von dem anderen wüsste, es würde jeder gern und leicht vergeben. Es gäbe keinen Stolz mehrkeinen Hochmut.“


Was aber, wenn du gar nicht wirklich wissen willst, von dem anderen? Wenn du nur, das bereits entworfene Bild des anderen, die Leinwand deiner Projektionen, die Mauern, die deine Angst einschließen und dir Sicherheit vorgaukeln, erhalten willst? Aus Angst davor, nichts mehr zu haben, um mit dem Finger drauf zu zeigen, um es ablehnen zu können, verurteilen zu dürfen und plötzlich nackt vor sich selbst zu stehen?


Mein Ich versucht sein ich abzulegen, auch wenn ich mir einrede, es nie aus Egozentrik heraus benutzt zu haben, sondern vielmehr aus dem Bewusstsein meiner Subjektivität heraus: Meine Erfahrungen/Gedanken müssen nicht deine sein und mein „Ich“ erhebt keinen Anspruch auf Wahrheit. 
Versuche es dennoch abzulegen, um mehr du zu sein, um mich nicht in mir selbst zu ersticken, um mich für das Draußen zu sensibilisieren, um weg zu kommen von diesem Ich, dass mich trennt, dass mich nicht weiter gebracht hat. 


Verbundenheit ist dein Verlangen, entfacht durch deine Unfähigkeit dazu. Du fühlst dich oft mehr verbunden, mit der Sonne, dem Mond, den Sternen, dem Gras, das so gut riecht, wenn der Regen drauf fällt oder es von der Sonne verbrannt wird, mit den Bäumen, die sprechen, in dem sie tanzen oder ganz still sind, mit dem Meer, das der beste Lehrer war, den du je hattest oder mit ganz fremden Menschen, die leiden, die weit weg sind, die so ganz vollkommen und unerreichbar sind, als mit den Menschen, die ganz in deiner Nähe sind und dir nahe stehen, ganz zu schweigen von dir!


Was macht dich jedesmal so wütend, wenn du ihre Engstirnigkeit entdeckst, ihre Rechthaberei, ihr Lästern, über die anderen, die alles falsch machen und nie etwas richtig? Was nervt dich, wenn du siehst, wie sie ihre eigene Schwäche in andere projezieren, ohne sich dessen bewusst zu sein? 
Hast du Angst dahinter das kleine Kind zu entdecken, das nach Schutz weint, nach Bestätigung? Befürchtest du Mitleid mit ihnen zu bekommen und keinen Grund mehr zu haben, wütend zu sein? 
(Und bist du dir bewusst, dass du auf einer subtileren Ebene genauso verurteilend, engstirnig und rechthaberisch bist, wie sie?)


Macht das Du die Sache besser oder habe ich dem Ich nur einen anderen Namen gegeben, wie andere man sagen, anstelle von ich?
Verstehen und verstanden werden (am liebsten ohne alle Worte), Verbundenheit mit bekannten Seelen, nackt vor dir zu stehen und nicht weinend davon zu laufen, zu  lieben aus der Quelle der Liebe selbst, steht auf deinem Wunschzettel für diesen Ramadan ganz oben. 

Rolltreppe mit Platon




„Sei gütigdenn alle Menschendenen du begegnestkämpfen einen schweren Kampf. “ Platon

Das Zitat des Tages, gestern in der UBahn. Platon war schon ein bewusster Kerl. Ich würde mich gerne neben ihn ins Gras legen und ihn erzählen lassen von diesem, unseren Kampf der Menschen. Wie wird er ausgehen, wie sollen wir ihn kämpfen, wie können wir es schaffen, über uns hinaus zu gehen?
Ob Platon die Menschen auch als kleine Kinder gesehen hat, so wie ich manchmal, wenn ich in der Ubahn sitze? Ich gucke in die Gesichter und die meisten sind so abwesend, gar nicht wirklich da. Da ihre Gesichter nicht lesbar sind, einsame, verschlossene Tagebücher, suche ich in ihren Gesichter nach dem Kind, dass sie einmal waren und meist finde ich es und sehe, wie schön sie sind. 
Kindergesichter sind so offen, so verletzlich und manchmal sehe ich in Kindergesichter und erschrecke, denn ich sehe plötzlich die Ubahnfahrer von morgen. Sollten sich die Raupen nicht in Schmetterlinge verwandeln und nicht andersherum? 
Irgendwas scheint falsch zu laufen und wir halten es, weil wir es nicht anders kennen, für normal. 

Und ich selbst? Ich laufe die Rolltreppe falsch herum hoch, hab den Dreh noch nicht raus, nerv mich seber an und bin deshalb auch von allen anderen genervt. Wo kommt diese Wut in mir her und dieses genervtsein. Ich schaff es nicht, mein Beobachter zu sein. Wie soll ich  gütig mit den anderen sein, wenn ich es nicht dauerhaft mit mir selbst sein kann? Platon, sag mir, wie!

Ich habe mal wieder Lust auszubrechen, mich selbst beiseite zu legen, jemand anderes zu sein.