Mary am Meer

Monat: Mai, 2011

Filmtipp: Der Name der Leute

Habe ich je etwas anderes, als französische Filme empfohlen?
Man möchte meinen, Freud sei Franzose gewesen.

Für die, die nicht ins Kino wollen/können:
http://kino.to/Stream/Der_Name_der_Leute.html

Mit vielen Dank an S.B. fürs Empfehlen. Mag ich [sehr], hab ich gedrückt!

Weiße Leinwand

Eine weiße Leinwand ist eine Möglichkeit. Mehr als eine, tausende sogar und egal, was du malst, es wird gut. Die einzige Kunst besteht darin aufzuhören, wenn das Bild fertig ist, nicht wenn du meinst, nun sei es perfekt. Denn du wirst es nur vermasseln mit dem zwanghaften Wunsch, es besonders schön zu machen, ist es plötzlich zu viel und du versuchst, es wieder auszugleichen, aber zu spät: Du hast nicht gehört und musst jetzt zusehen, wie der Ausdruck, dein Ausdruck, in den Farben untergeht. Die Farben wechseln, das weiß versinkt unaufhaltsam völlig in ihnen und du wünscht, es gäbe diese Return-Taste, die jedes Schreib- und Fotoprogramm hat, aber genau das macht ja die Leinwand aus. Diese Leinwand hat sich über die Jahrhunderte nicht verändert, sie ist erst weiß und nimmt, was du ihr gibst, ohne zurückzugeben, no return.

Und du malst und siehst, dass es nun nicht mehr dein Bild ist, es hat Farbe: Ja; es hat auch Struktur, aber es hat nichts mehr von dir. Und du jammerst „Hätte, hätte“ und weißt doch, dass es nicht anders hätte kommen können, schon als der erste Gedanke sich in dich einschlich, was wohl die anderen über dieses Bild dächten, war es verloren. 
Deine Seele wolltest du ablichten und solange das dein Verlangen war, war es gut; etwas wirr, aber dynamisch, ziemlich vernarbt, aber dadurch nur gehaltvoll,  auch die Liebe war gut erkennbar, dann aber kam dieser dumme Gedanke dazwischen, wie die anderen dein Bild finden würden, von da ab an, schrie die Leinwand „Stop!“, du jedoch hast nicht gehört und weiter Formen konstruiert, mit Farbe gespielt, die das ganze perfekt machen sollten, damit du richtig stolz sein kannst auf dein Werk: Seht, das bin ich,  ziemlich gestört, aber doch interessant, ein Künstler wie er im Buche steht.


Wirst du es schaffen, auf die nächste Leinwand zu hören und die anderen Menschen zu vergessen, die dir nie das geben können, was du wirklich suchst, egal wie sehr sie dir applaudieren?

Neues von Ali

Liegt er in meinem Arm und fragt:

„Mama, hast du was dagegen, wenn ich uns mit Nadel und Faden zusammennähe?“
„Möchtest du das?“ 
„Jaaa, also darf ich?“
„Neee, mein Lieber, das kannst du vergessen. Aber sag, möchtest du gerne wieder klein sein?“ 
„Hmmm! Ich möchte die Zeit nochmal zurückspülen, damit ich all meine Fehler nochmal wiederholen kann.“

Initiierung?

Ich warte und itzo werden se alle sentimental, fallen sich in die Arme und reden liebenswertes Zeug, wie als wärn´ se jeder hundert Jahre alt: „Was waren das doch schöne Zeiten!“ und „Mensch, werd´ ich euch vermissen.“
Und ich warte, schaue in die Gesichter, freue mich über die Stimmung, die sich mir präsentiert und erwarte, sie möge auch auf mich abfärben. Abschiedsstimmung ist immer schon ein Stückchen Nostalgie.

In mir drin, mal abgesehen von 2-3 Litern sprudelnder Erleichterung, in die sich noch ne Handvoll kratzig-staubiger Unglaube, dass es nun wirklich vorbei, ein Lebensabschnitt vorbei und der nächste bald beginnen soll, aufgelöst hat, ist jedoch alles still. 
Wusste ich doch damals schon, wie schnell die drei und halb Jahre vergehen, wenn ich es schaffen würde- ja wenn. Schaffen. Nun habe ich es- geschafft, die Eintrittskarte in die Uni und einiges mehr. Wo bleibt also- verdammt nochmal- mein Gefühl? 
Je mehr ich versuche, um so weniger will es- fühle mich wie die einzig[st]e, mit steinkaltem Herz.


Und als ich endlich aufhöre, zu warten, gehe ich an einer Wand entlang und werde erinnert an das, was  ich nicht erlebte und Trauer über das selten, greifbar Nahe, dennoch verpasste, ergreift mich; den Namen, den ich nicht schrieb. Und bevor ich mich dagegen wehren kann, fühle ich- viel mehr, als ich mag und ganz anders als ich will. Abschied vom Nicht-Erlebten. Nein- so nicht, nicht so!

Kurze Notiz zum Regenwald [oder auch nicht]

Sagt der Regenwaldexperte, nach dem Grund gefragt, warum Menschen Schimpansenbabys entführen, wofür sie erst mal die Mütter abknallen müssen, weil diese ihre Kinder um jeden Preis beschützen:

„Das liegt wahrscheinlich an der großen Ähnlichkeit, die die Schimpansen mit uns Menschen aufweisen. Wir teilen immerhin 97% genetisches Material. Daran liegt wohl der große Reiz, sie als Haustiere zu halten.“
Diese Antwort lässt ja tief blicken und anstatt, dass sie mir etwas über den Regenwald erzählt [am Di sind mündliche Prüfungen Bio], klärt sie mich über die Natur des Menschen auf. 

Freiheit-zwei Gedanken einer Person

„Freiheit ungleich Grenzenlosigkeit.
Wäre es anders, wären wir verloren und nicht frei.
Freiheit bedeutet, sich frei zu machen von allem, was nicht zu mir gehört, angeeigent durch Erziehung, Kultur, geliebte Gedanken, Gefühle, falsche Grenzen aufgebend, Fragen zulassend, Konzepte als Konzepte erkennend, anerkennenend, dass mein Weg nicht der Weg ist, sondern nur ein Weg; ahnend warum dieser Weg mein Weg geworden ist.
Sich befreien, das Fundament freilegen, die Stärke zu haben Fragen zu stellen, langgeglaubtes in Frage zu stellen, mit sich zu hadern, zu verzweifeln, sich dann zu verzeihen, keinen Weg zu sehen, trozdem weiterzugehen,frei zu sein von der Meinung der Menschen, wenn auch den Nächsten, den Applaus nach dem Handstand nicht mehr zu wollen, die gerunzelten Augenbrauen nicht mehr zu fürchten, für sich selbst Verantwortung übernehmen,das bedeutet mir Erwachsen sein.“ 

[August 2009]



„Der Mensch ist ein begrenztes Wesen und genau so sind seine Wahlmöglichkeiten begrenzt. 
Das, was wir Freiheit nennen, ist in Wirklichkeit nur der schmale Raum zwischen Grenzen, die uns von überall her umschließen.
Entweder handeln wir oder lassen es bleiben, aber auch das Unterlassen ist eine Form des Handelns. 



Du hast die Wahl dich zu entscheiden, ob du dein Glas als halb voll oder leer nennst, aber dass es einmal ganz leer sein wird, daran ändert auch der größte Optimist nichts. 


Du darfst entscheiden, wen du liebst, aber ob du zurück geliebt wirst, steht nicht in deiner Macht. 


Du musst entscheiden, ob du dich anpassen willst oder lieber ein Einzelgänger bleibst, beides jedoch wird deiner Seele schaden, und sie verzeiht keinen Verrat.


Du kannst deine Religion wählen oder auch gegen sie sein, aber ob du Recht hast, es überhaupt so etwas wie Recht gibt, kannst du nicht wissen.  


Alle vier Jahre, darfst du dein Kreuzchen machen, bei einer Partei deiner Wahl; Freiheit bedeutet letztendlich oft lediglich die Erlaubnis zur Wahl des kleineren Übels.
 
Und so ist sie, die Welt, du kannst nur akzeptieren oder daran verzweifeln- das ist deine Freiheit. Viel Spaß damit!“ 

[Januar 2011]

Ein grundloser Satz

„Ich sehe keinen Grund.“ ist ein Satz mit doppelter [oder doch einfacher?] Bedeutung. Egal ob nun der Grund im Sinne von Ursache aus dem Grund, [zum Beispiel] des Meeres stammt, oder es zwei verschiedene Gründe sind, ist die Erkenntnis: „Ich sehe keinen Grund“ tiefgründig, wenn nicht sogar unergründlich.

»Die Leistung der Frau in der Kultur« -Mascha Kaléko

»Die Leistung der Frau in der Kultur«

(Auf eine Rundfrage)

Zu deutsch: »Die klägliche Leistung der Frau«.
Meine Herren, wir sind im Bilde.
Nun, Wagner hatte seine Cosima
Und Heine seine Mathilde.
Die Herren vom Fach haben allemal
Einen vorwiegend weiblichen Schatz.
Was uns Frauen fehlt, ist »Des Künstlers Frau
Oder gleichwertiger Ersatz.

Mag sie auch keine Venus sein
Mit lieblichem Rosenmund,
So tippt sie die Manuskripte doch fein
Und kocht im Hintergrund.
Und gleicht sie auch nicht Rautendelein
Im wallenden Lockenhaar,
So macht sie doch täglich die Zimmer rein
Und kassiert das Honorar.

Wenn William Shakespeare fleißig schrieb
An seinen Königsdramen,
Ward er fast niemals heimgesucht
Vom »Bund Belesner Damen«.
Wenn Siegfried seine Lanze zog,
Don Carlos seinen Degen,
Erging nur selten an ihn der Ruf,
Den Säugling trockenzulegen.

Petrarcas Seele, weltentrückt,
Ging ans Sonette-Stutzen
Ganz unbeschwert von Pflichten, wie
Etwa Gemüseputzen.
Doch schlug es Mittag, kam auch er,
Um seinen Kohl zu essen,
Beziehungsweise das Äquivalent
In römischen Delikatessen.

Gern schriebe ich weiter
In dieser Manier,
Doch muß ich, wie stets,
Unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir
Sein nächstes Konzert
Zu besprechen.

Mascha Kaléko

Geschluckte [Worte] und Gedichte

Der/Die/Das Blogspot hat einige Kommentare geschluckt, falls diese nicht mehr auftauchen sollten, dann tut mir das leid, aber ich  habe keinen Einfluss darauf; soll heißen, ich habe hier nichts gelöscht!
Auch mein, zur weiterer Bearbeitung in Entwürfe gespeicherter, Erguss über die Kunst sein Leben zu lenken, den Unwillen der Gefühle sich in gut und schlecht einteilen zu lassen und über den notwendigen Mut, die Gesamtheit der Dinge zu fühlen, ist verschwunden- was ich persönlich immer gerne als Wink des Schicksals interpretiere, meine allzu optimistisch schwülstigen Worte lieber stecken zu lassen, da diese mich ansonsten noch hämisch auslachen würden.

Etwas in mir würde so gerne dichten, es steckt die Poesie kitzelnd in mir fest, irgendwie verklemmt, kribblig auf den Augenblick wartend, sich in dieser Welt manifestieren zu dürfen.

Anscheinend aber muss ich entweder so richtig verliebt sein oder es muss mir scheiß-schlecht gehen, um den Damm, der die Dichtung umschließt, zum Einstürzen zu bringen. 
Ersteres ist, nicht zu erwarten, ist wie der Engländer sagt: unlikely- ich kenne keine Schmetterlinge im Bauch- und auf letzteres verzichte ich gern. Wenn der Preis eine gewisse Unkreativität sein sollte, dann bin ich bereit ihn- zwar zähneknirschend- zu zahlen und vertraue darauf, dass Leben noch früh genug und völlig unerwünscht, einige Krisen zu bieten hat.
Ich erinnere mich gerade an das erste gänzlich unerwartete Gedicht, das aus meinem Mund heraussprudelte, ohne vorher von mir gedacht worden zu sein. Es „geschah“, als wir in der sechsten Klasse im Harz auf Klassenfahrt waren. 
Wir Mädchen verstanden uns gut, saßen abends am Fenster und sangen laut und überzeugt „close your eyes-give me your hand, darling“ und ähnliches, nur in der Pubertät und nur für Mädchen auszuhaltendes, kitschiges Zeug. 
Am Tage alberten wir überdreht herum und plötzlich erzählte ich die Geschichte von Romeo und Julia auf eine humorvolle Art, meine eigene Geschichte von Romeo und Julia (ich erinnere mich noch schwach, dass Romeo einen Kaugummi im Mund hatte und Julia ihn deshalb nicht richtig verstand) in Reimform. Die Mädchen wurden ganz still, bekamen große Augen, hüpften und fingen an zu applaudieren. Es war ein komischer surrealer Moment, als ob ich nicht mehr ich war, so als würde da jemand aus mir heraus sprechen, ein größerer, erwachsenerer Jemand mit Sinne für Poesie.

Noch Tage später sprachen die Mädchen über diesen Moment und noch länger musste ich selbst darüber nachdenken, was/wer das nun gewesen war und warum.

Ich will das jetzt gar nicht noch mehr aufbauschen, aber diese und spätere Begebenheiten sind der Grund, warum ich der Meinung bin, dass Gedichte nicht konstruiert werden, jedenfalls nicht die, die ich als gut empfinde [wissend, dass diese Defintion ebenso subjektiv wie anmaßend ist].
Sicher kann man sie noch schleifen, aber das Gedicht an sich wird geboren, es ist vielleicht die direkteste Möglichkeit unseres kreativen Ichs, zu sprechen. 
Es scheint, es gibt da ein Gedichte-Modus [es scheint=so scheint es mir].
Nun komme ich- zu meinem rein persönlichen Bedauern-nicht in diesen Modus und lese deshalb Mascha Kaleko. Es ist als ob sie für mich dichten könnte [so wie ich gerne dichten können würde], auch wenn ich ihre schwierigen, schmerzhaften Schicksalsschläge nicht teile, ist sie mir vom Gefühl her so nah. Ihr liebevoll trockener Humor, ihre tiefe Melancholie, ihre gefühlte Einsamkeit, ihre manchmal belehrende Art, ihr Versuch mit der Welt Frieden zu schließen, und vor allem ihre Wortlosigkeit angesichts des Unsagbaren.
Es gibt Gedichte, die erzählen mir, so dicht sie auch sind- mehr als ein ganzes Buch. Hier eine kleine Auswahl:


In meinem Hause
Es hat sich nichts geändert hier:
Stets gab es Arme und Reiche,
so oft es sich geändert hat,
so oft bliebe es das gleiche.

Der kleine Unterschied
Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
»Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht.«

Sozusagen grundlos vergnügt
Ich freu mich, daß am Himmel Wolken ziehen
Und daß es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
– Daß Amseln flöten und daß Immen summen,
Daß Mücken stechen und daß Brummer brummen.
Daß rote Luftballons ins Blaue steigen.
Daß Spatzen schwatzen. Und daß Fische schweigen.

Ich freu mich, daß der Mond am Himmel steht
Und daß die Sonne täglich neu aufgeht.
Daß Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, daß ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter;
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, daß ich mich an das Schöne
und an das Wunder nie gewöhne.
Daß alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, daß ich . . . Daß ich mich freu.


Stickmusterspruch fürs Kopkissen

Sobald man beginnt,
Gespenster zu sehen,
Und spärlich bekleidet
Spazierenzugehen,
von Türmen zu sinken,
Im Bad zu ertrinken,
– Sobald man sich duzt
Mit Dämonen und Drachen,
Empfiehlt es sich, schleunigst
Aufzuwachen.

Mangelware Normalmensch

Einst hiess das „gesunder Menschenverstand“:
Verstand, der gesunde Menschen verstand.
Der kam uns abhanden, und nicht ohne Grund:
Die wenigstens Menschen sind heut noch gesund.

Mascha Kaléko

Memento Mori

Aus Mary am Meer ist nun Miri am Meer geworden, ganz sicher bin ich nicht- aber das bin ich sehr selten. Wahrscheinlich macht genau das ein Teil von mir aus, mir nicht sicher zu sein und auch diese Sicherheit gar nicht zu wollen. Ich brauche wohl ein Dach über dem Kopf und festen Boden unter den Füßen, aber das soll mir genügen an Geborgenheit.

Warum bin ich nur so neugierig auf die Welt? Ich möchte ihr zurufen: 
Mach mich verliebt in dich und deine Schönheit! Zeig mir deine Vergänglichkeit und lass mich fühlen, dass es nicht auf die Menge der Momente ankommt. Ich möchte der Kirschbaum sein da drüben, dessen Blüten mir den Atem rauben und morgen schon am Boden liegen. 
Es ist ein völlig anderes Gefühl, weg von der Lebensmüdigkeit und hin zu der puren Dankbarkeit dieses Leben erleben zu dürfen. In meinem früheren Leben, war diese Welt barock; alles vergängliche Eitelkeit. 
Lange habe ich gebraucht um zu begreifen, dass Memento Mori zu Carpe Diem führt (und eben nicht antithetisch zu einander stehen muss).
Sicher gehört alles der Vergänglichkeit an, ist im Wandel begriffen, wird nicht(s) überdauern-aber warum sträuben wir uns so dagegen? Und es sind ja nicht die von Menschen erfundenen Werte/Güter, die ich begehre. Nein- es ist die Schönheit des Lebens selbst, in jedem einzelnen Augenblick*, die sie in sich trägt, inklusive Vergänglichkeit.

[Und wenn ich das morgen wieder anders seh, dann soll es so sein]

*was für ein schönes Wort!

Deutsch-Klausur

Mein Gehirn vergewaltigt, ein Betonklotz auf meinem Nacken, der Kopf verkrampft…ich bin  fertig und wütend, wahrscheinlich eigentlich auf mich selbst, projiziere ich meine Wut in unser Schulsystem. So gut vorbereitet war ich nie und so schlecht gefühlt habe ich mich ebenfalls noch nie. Nichts ist geflossen, jedes einzelne Wort mühsam aufs Papier gekotzt.
Ich bin wütend, weil ich nicht so gut war, wie ich sein könnte, wie ich weiß, dass ich es bin.
Und es ist keine Punktegeilheit, die mich enttäuscht sein lässt, so dass andere denken, ich hätte einen Ausfall geschrieben, es ist das Wissen nicht das gezeigt haben zu dürfen, was in mir steckt. Die Schule/das Schulsystem hat mir nicht die Möglichkeit gegeben, am Schluss das Beste herauszuholen, was ich zu bieten hab! Das macht mich wütend.
Der Druck und die Formalitäten haben heute jegliche Kreativität in mir erstickt. Setzt man meinen Namen auf eine Liste, wenn ich noch ein Blatt Papier haben will, setzt man zu dem Namen noch die Uhrzeit auf eine andere Liste, wenn ich pinkeln gehen will, nachdem ich das ne halbe Stunde aufgeschoben habe, weil ich keinen Lärm machen wollte, dann stehe ich endgültig neben mir.

 „Willkommen in Preußen!“, begrüßte mich der Lehrer treffend. Ich hatte das Gefühl, es sei illegal, dass ich mich entfern. Uhrzeit des Austritts 11:45. 11:48 war ich schon wieder in der Klasse drin.
Dass ich mich nicht recht entscheiden konnte, und erst einmal mit dem Gedichtsvergleich anfing, den ich dann aber zu vorhersehbar fand (Künstlichkeit vs. Schönheit, Äußeres wie Inneres, Vanitas Mundi und die der Frau verwehrten Möglichkeit eines Mannes im nicht-klassischen Sinne schön zu sein—..bla bla) und außerdem unsicher war, ob es auch ein Alexandriner ist, wenn keine Zäsur nach der dritten Zeile  Hebung (typischer Schusselfehler!) zu finden ist, dafür kann wohl niemand etwas, außer ich selbst.
Ach, hätte ich doch den Gedichtsvergleich genommen, sag ich mir im nachhinein, daran hätte ich mich entlang hangeln können. Aber ich wählte eine Interpretation aus Frau Jenny Treibels und warum genau ich so ein beschissenes Gefühl habe, kann ich kaum sagen, außer es fühlte sich einfach nicht gut an. Der Schreibfluss war nicht da und ich war doch so gut vorbereitet!

Und Außerdem bin ich wütend, gezwungen zu sein in 4,5 Stunden eine Klausur zu schreiben. 4,5 Stunden klingt so viel, ist aber gar nichts für etwas, das gut und gründlich sein soll, zumindest nicht für mich, die ihre Ideen immer erst entwickelt und nicht schon vorher weiß, was sie schreiben wird (das muss ich von meinem Vater haben, der die Mathe-Formel immer erst selbst ableitete in den Klausuren). Aber trotz der Zeitknappheit hat es sonst immer sehr gut geklappt, weil ich die Selbstsicherheit hatte: Ich kann das.
Die war auch heute da, aber wenn alles so offiziell ist, dann gehen bei mir (wohl) die Schotten dicht, dann ist sie weg die Sicherheit. Bürokratie wirkt auf mich bedrohlich. Ach, Scheiß egal, sag ich jetzt, nachdem ich meine Wut in die Tasten gedrückt habe.. Wem muss ich was beweisen? Niemandem, außer mir.