Falls du dich fragst, nein-ich habe nicht vergessen. So schnell vergesse ich [leider] nicht und wegen dir meide ich ganze Bezirke. Falls du dich nicht fragst, dann gab es nie etwas zu vergessen und der sensible, wache Mensch, den ich sah, der war in Wirklichkeit nie da oder nur temporär erreichbar, ein Modus, den du nach belieben ein- und ausschalten kannst; doch das war nicht, was ich sah, meinte zu sehen.
Die von meinen Gefühlen wissen, glauben fast alle, ich habe mich geirrt, du seist der uninteressanteste Mensch auf Erden und schlichtweg dumm, weil du mich nicht zu schätzen weißt.
Ich wünscht, ich könnte das auch so sehen, es wäre der einfachste und angenehmste Weg; ein Weg mein Herz vor Kratzern zu schützen und dich ganz
einfach hinter mir zu lassen, wie einen unpassenden Schuh, ein „Wer nicht will, der hat schon“ auf den Lippen und andere, schönere Männer [die mich obendrein zu schätzen wissen] im Blick.
Leider- und diesmal ohne Klammer- kann ich das nicht, denn wenn ich es könnte, käme zu dem enttäuschenden Gefühl der Ablehnung das noch stärker enttäuschende Gefühl des Irrtums hinzu: Du magst mich persönlich enttäuschen, aber menschlich?- das wäre dann doch zu viel.
Vielleicht befürchtest du, ich idealisierte dich über alle Maßen und hast Angst bekommen, vor mir und meinen zwangsläufig nicht zu erfüllenden Erwartungen an dich. Falls dem so war, dann gebe ich zu, dass an dem Idealisieren sicher ein wenig was dran ist, habe ich doch erst die Außensicht zu Gesicht bekommen, das Spielfeld, in dem man sich so gut es geht zusammenreißt, sich von seiner besten Seite zeigt und seine diversen Macken unter Verschluss hält. Aber was die Enttäuschung angeht, so hatte ich nie übergroße oder auch nur explizite Erwartungen und wäre wohl eher enttäuscht, gäbe es da keine menschliche Dimension dahinter. Ich bin durchaus reif genug, allzu idealistisches durch realistischeres zu ersetzen.
Da wir gerade bei Erwartungen sind: würde ich sagen, ich habe keine, würde ich lügen, denn Interesse deinerseits, Neugier auf mich, das hab ich schon erwartet oder zumindest erhofft. Irgendwie ging ich davon aus, dass das klar wäre, ein nonverbales Verstehen, ein Geruch zwischen uns, ein Blick von gegenseitigem Interesse.
Möglicherweise fällt mir das sogar am schwersten einzugestehen, meiner Intuition erklären zu müssen, dass sie sich geirrt hat und das Wissen, dass sie es wieder tun kann; ein erschütternder Vertrauensverlust an den wichtigsten Teil meiner Wahrnehmung.
Übrigens, kann ich deine mögliche Angst sehr gut nachvollziehen; ich selbst bekomme schnell ein mulmiges Gefühl, wenn ein Mann mich über die Maßen schätzt, so als meine er, nun wäre ich für sein Glück verantwortlich, als hätte er das Recht mir diese Verantwortung aufzudrücken; mein Hals schnürt sich dann zusammen, ich bekomme Atemnot und da ich oft zu feige bin, Angst habe jemanden zu verletzen, ziehe ich mich zurück, so als wäre das nicht genauso-oder noch schlimmer- verletzend.
Da ich das so gut kenne, brauchst du-und auch kein anderer- Angst zu haben, ich könnte klammern, dazu bin ich nicht einmal fähig, lieber lasse ich gehen, als nur den Hauch eines Klammeraffen in dem Spiegel meiner Selbst zu sehen. Ich halte nur, solange der andere möchte, für alles andere- auch für diverse emotionale Erpressungsversuche- bin ich zu stolz; diesmal ohne jedes leider.
Aber, könntest du sagen, ist dein Versuch mir auf diesem Weg zu schreiben, nicht auch ein Manipulationsversuch und eigentlich wäre das ein Thema, das ich viel lieber bei einem Tee besprochen hätte: Was ist Manipulation? Ist nicht jedes Wort-ja sogar jedes nicht gesprochene-manipulativ? Warum verstehen wir Manipulation immer als etwas negatives….Und ich würde dir erklären, dass ich sehr vieles tun würde, um dich zu einer Antwort zu bewegen, denn ich werde so offen mit dir sein, wie ich es nur geht. Zwischen meinem Wunsch jedoch, dem Bedürfniss mich zu erklären und bösartiger Manipulation liegen Welten, finde ich.
Es ist schon merkwürdig, sobald ich dir schreibe, dich auf ein Blatt Papier bringe, befremdet mich meine eigene Intimität doch wieder sehr und es ist vor allem mein Verstand, der das nicht versteht und es mir kaputt machen möchte, mit Etiketten wie „völlig übertrieben“ und mein Gefühl zieht folgsam nach und meint zu fühlen, dass es jetzt doch gar nichts mehr will, ein Treffen oder anderen Kontakt.
Aber da ich dieses Spielchen jetzt schon eine Weile kenne, weiß ich auch, dass Verstand und Gefühl- so gut sie es auch sicher meinen- nur so tun als ob und das, was immer wieder hochkommt, das ist, wogegen sie nicht ankommen, was nie verarbeitet sein wird, wenn ich ihm nicht den Raum gebe, es ernst nehme ohne es danach nicht doch ein wenig- und vor allem liebevoll, nachsichtig- zu belächeln; diesem namenslosen Etwas, das mehr als das Unbewusste ist oder auch weniger, auf jedem Fall in sehr guter Verbindung mit ihm steht und der Ratio gegenüber immer wieder haushoch überlegen ist.
Zurück zu den Erwartungen, die ich doch lieber Wunsch nenne, denn genauer betrachte, erwartete ich nichts bestimmtes und wie man es nennt, was und ob etwas daraus wird, war mir nicht wichtig. Ich wünschte mir nur, die Chance zu bekommen, herauszufinden, was für eine Verbindung zwischen uns war. Und zumindest auf gedanklicher Basis gab es die, darin kann ich mich nicht getäuscht haben. Natürlich könnte es sein, dass dies nur für mich besonders war und für dich alltäglich und öde. Ein Bedürfnis, dessen du übersättigt bist und nachdem ich am hungern bin, unausgeglichene Verhältnisse sozusagen.
Kann sein- aber wie soll ich das wissen, wenn du es mich nicht wissen lässt? Vielleicht dachtest du auch nur, wie es wäre mich zu ficken und auch dagegen hätte ich nichts gehabt, hätte ich mich wohl auf jede Ebene begeben, aus Neugier auf dich. Oder aber du bist homosexuell und hast Angst es mir zu sagen- das ist die dümmste meiner Erklärungsversuche, denn was solltest du vor mir befürchten?
Es könnte so viel sein, von schlichtem Desinteresse über schlechter Augenblick bis hin zu Angst vor Nähe. Es könnte, es könnte und bis ich es nicht weiß, wird verdammt viel Zeit vergehen, bis ich endlich akzeptieren kann, dass ich ohne Erklärung weiterziehen soll. Meinen Selbstwert nehme ich dabei jedoch mit, darüber bin ich sehr froh, denn egal was der Grund sein sollte, und egal wie verletzt ich wieder Willen doch bin, bin ich nicht weniger geworden, weil ich dir egal zu sein scheine; sogar etwas mehr, weil ich nun weiß, dass ich meine Angst vor Ablehnung angefangen habe zu überwinden und mich öffnen kann, egal ob ich etwas zurückbekomme.
Nein-ich habe dich nicht vergessen, aber loslassen werde ich dich jetzt, wenn ich gleich diesen Brief mit dem Ballon steigen lasse. Möge er weit weg fliegen.
Lotta