Mary am Meer

Monat: Dezember, 2016

Fragen

Wenn die Worte ausgehen. Und dann wiederkehren.

Existiert Glück solange andere so leiden?

Wie kann ich Frieden finden, solange sich die Welt im Krieg befindet?

Und kann man mitten im Krieg Frieden finden?

Und wie könnt ich das  von meinem warmen, sicheren Zimmer aus bejahen?

Solange ich nicht dieses Kind gewesen bin, das voller Blut und Staub

und doch noch vollerer Klarheit in die Kameras der Welt schaut. Auf eine gewisse Weise erstaunt.

Wie kann ich es bejahen, solange ich nicht die Mutter gewesen bin, die all ihre Kinder mit einem Schlag verlor, solange ich nicht gefroren, gehungert habe, verängstigt, geflüchtet so weit jenseits all meiner Grenzen gewesen bin?

Wächst die Schrecklichkeit der Ermodeten mit ihrer Zahl und wenn ja, warum ist das so? Und verliert all das andere Leiden in Relation zu dem größeren (qualitativ und quantitaiv empfunden) seine Bedeutung? Hat Leid überhaupt eine Bedeutung und wenn nein, warum erscheint es uns so schwer zu akzeptieren?

Wie könnten wir erleichtert sein, dass es uns nicht getroffen hat, wenn es doch andere traf? Wir/Viele spüren in diesen Tagen, dass wir ein Körper sind.

Noch nie warst du „anderer“ mir so nahe wie in diesen Tagen, so als könnte meine Seele so schnell den Platz tauschen. Und deshalb kann ich nicht sagen: Gut, dass uns nichts passiert ist.

Und wenn ich diesen Weg weiter gehe, dann wird mir auch der nahe sein, der von der Rettung des Abendlandes spricht, fest überzeugt, dass es hier um einen Kampf a la Herr der Ringe geht, die Achse des (!) Guten und des (!) Bösen und so. Die Werte der Freiheit und des Menschensrechts, die er meint zu verteidigen, die Zivilistaion und der feine Geist, Erfindungen des Westens und  alles was hoch und erhaben ist gegen blutrünstige Barbaren, die ohne jeden Grund, nur im Namen einer menschenverachtenden Religion, die keinen anderen Inhalt besitzt als alle Andersgläubige zu vernichten. Der sich weigert, einzusehen, dass wenn man die Welt schon in zwei teilen will, der sogenannte Westen in einem alten, scheinheiligen Kreuzugs (erst im Namen der Religion und dann im Namen der Demokratie) unvorstellbar viel Zerstörung über so viele Teile der Erde brachte und wenn derjenige Recht hat, der zu den Anschägen in Istanbul schreibt, dass wer Gewalt säht, Gewalt ernten wird während er nach den Anschlägen in Nizza sein Profilbild mit der französischen Fahne färbt, wenn er Recht hat mit seiner Gewaltsresonanztheorie dann Gnade uns Gott oder auch nicht, je nachdem wie man das sieht, dann werden wir (Anwohner der westlichen Welt) noch sehr viel Gewalt zu ernten haben.

Ok, ich gebe es zu, noch sind mir diese Menschen nicht nahe, das Empfinden von Ungerechtigkeit schafft eine Grenze zwischen ihm und mir.

Aber ich wünsche mir, das zu überwinden.

Denn das ist unsere einzige Chance.

Das ist unsere einzige Chance. Ansonsten gehen wir alle gemeinsam drauf. Früher oder später.

Und wenn ich den Weg weiter gehe, dann ist mir irgendwann auch der nahe, der seine und meine Religion vergewaltigt, entwürdigt, der behauptet auf Befehl eines allbarmherzigen Gottes zu handeln in dessen Namen er jedes seiner Gebete beginnt, der sein Herz schon vor so langer Zeit verschlossen hat. Der mit der Scheinheiligkeit des Westens argumentiert, damit, dass ihre Toten keinen Wert in den Augen der Welt haben und dass Auge um Auge schon im alten Testament steht und  daraus ableiten will, dass erlittene Ungerechtigkeit das Recht zu mehr Ungerechtigkeit gibt. Der mit Köpfen Fusball spielt und dabei in die Kamera grinst, der meint, es wäre weniger grausam zu seiner Grausamkeit zu stehen anstatt von Weitem Bomben zu werfen. Der meint, er stirbt als Märytrer mit  Blut Unschuldiger an seinen Händen und wacht im Paradies wieder auf mit Jungfrauen und/oder Weintrauben und was das Herz so begehrt. Aber sein Herz ist schon so lange tot. Wie könnte etwas anderes als noch mehr Tod auf ihn warten?

Und dann wäre mir auch der Herrscher nahe, der von seinem Schreibtisch aus strategische Entscheidungen fällt, der von seinem Schreibtisch aus ganze Städte vernichten kann und es tut, Kriege anzettelt, der den Feind seines Feindes zu seinem Freund macht, dem jedes Mittel den Zweck heiligt, der sieht, dass die Welt zugrunde geht und sie weiter ausbeutet. So als könnte er irgendetwas mit ins Grab nehmen.

Wir sind eins, ob wir es wollen oder nicht. Unsere Einstellungen/Ideologien/Religionen/moralischen Werte mögen uns trennen, aber wir gehören zu einer Seele. Und es ist höchste Zeit, das zu erkennen.

Dezember Dialog

– In mir ein Schlachtfeld zwischen Verstand und Gefühl.

-Der Verstand ist überbewertet und Gefühle auch. Nimm sie nicht ernst wie zwei Kinder, die  über ein Spielzeug streiten.

-Wenn sie ihren Kampf draußen führen würden!

-In dir ist genug Platz. Wenn du dich von dem Schlachtfeld entfernst, wirst du die Weite in dir entdecken.

-Ich brauche Zeit.

– Das ist ok.

-Und Geduld.

-Das ist Ok

-Und Vertrauen.

-Alles ist gut.

 

Dieser Ort an den du immer wieder zurück kehrt

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Es ist wahr, was gesagt wird, dass alles irgendwann zur Anstrengung wird, wenn man es nicht mit Liebe und Zufriedenheit tut. Wenn man glaubt, dass einem dies oder das glücklich machen würde.

Früher oder später wird alles, was man meint zu lieben, den Glanz verlieren und man findet sich immer wieder an diesem Ort der Erschöpfung.

Und andersherum ist es wahr, dass man tun kann, was man will, wenn man diesen Ort in sich gefunden hat. Das Handeln ist nicht mehr Mittel zu irgendeinem bewussten oder unbewussten Zweck.

 

Der Schöpfer aller Universen sprach, Rumi

„Der Schöpfer aller Universen sprach,

‚Ich bin mit dem, der Geduld hat.

‚
Geduld ist der Schlüssel zur Aufhebung des Leidens.


Tief in dir nagt der Zweifel, darum wenden sich die Dinge nicht zum Guten.


Löse diesen Zweifel vollständig auf.


Geduld ist der Schlüssel zur Aufhebung des Leidens.


Es gibt sie, die wunderbare Welt des vom ewigen Lichts erfüllt seins.


Der Weise in dir, das Licht, ist der einzige Vertraute in dieser Welt.


Geduld ist der Schlüssel zur Aufhebung des Leidens.“

*Dschalal ad-Din Muhammad Rumi*
1207-1273

Stimmen auf dem Weg zur Post

Nein. Es machte ihr keinen Spaß den Weg gehen zu müssen, um an ihr Ziel zu kommen. Wenn sie ehrlich war, dann wollte sie gleich dort sein. Die Schönheit der langsamen Entfaltung war zu sehr mit Mühe verbunden und sie war eigentlich immer noch zu müde für das Leben.

Manchmal kam es ihr vor als sei sie eine Leichtigkeit und Mühelosigkeit aus einem vorigen Leben gewohnt gewesen und die Last der Materie drückte sie nun mit voranschreitenden Jahren mehr und mehr.

So als würde sie die Festigkeit wie ein Magnet anziehen und das wiederum hatte paradoxerweise etwas mit der Leichtigkeit ihrer Seele zu tun, die sonst davonfliegen würde, wenn sie es nicht schaffte, in dieser merkwürdigen Welt zu verankern.

Sie wünschte sich tiefen Frieden, oder zumindest das Gefühl von Erleichterung: Jetzt, Sofort.

Und obwohl sie verstand, dass dieser Frieden immer nur im jetzigen Moment erfahrbar war, war ihr bewusst, dass das „Jetzt, sofort!“ nicht der richtige Ansatz war, denn er beinhaltete den Widerstand gegen die Tatsache, dass sie noch auf dem Weg war und nicht am Ziel.

„Wenn ich doch nur akzeptieren könnte, dass ich nicht akzeptieren kann.

„Und manchmal gelang ihr mit dieser Gedankenbrücke die Akzeptanz des Weges inklusive ihrem Wunsch, schon am Ziel zu sein.

Und wenn sie den Weg nach irgendwohin ging und bemerkte, dass sie in Gedanken schon mindestens 100 Meter voraus war, dann erinenrte sie sich:

Es gibt nichts als diesen Moment. Jetzt. Hier. Es gibt nur dieses hier. Alles andere ist in deinem Kopf und ob du diesen Moment magst oder nicht ist deine Entscheidung, aber es würde dir vieles einfacher machen, wenn du dich entscheidest, den Moment zu mögen, selbst wenn du frierst, aufs Klo musst oder dir langweilig ist.

Und dann mischte sich meist eine Stimme ein, die sie Erzieherstimme nannte, die ihr schon seit Jahren versuchte Dinge beizubringen, mit wie sie fand eher bescheidenem Erfolg:

Andere Menschen erleben wirklich schlimme Sachen, du hast überhaupt keinen Grund, dich zu beschweren.

Aber anstatt Dankbarkeit überkam sie an der Stelle immer ein Gefühl des Grauens und der Trauer für diese anderen Menschen und der Gedanke, dass das Leben zu schmerzhaft ist, kollektiv betrachtet. Denn  der Schmerz war zwar etwas, dessen Wert sie mit einer Distanz schätzen konnte, aber da ging es nur um ihre eigenen Erfahrungen von Schmerz, der ihr im Vergleich zu dem vieler anderer auf der Welt wie ein verwöhntes Kind vorkam, dass schon anfängt zu schreien, wenn der Arzt die Spritze gerade mal in der Hand hält und dennoch so schlecht von ihr auszuhalten geschweige denn zu akzeptieren; die Vorstellung dass es nur viel größeres Leid geben könnte war für sie nicht wirklich fassbar oder  gedanklich auch nur auszuhalten.

„Halt doch einfach den Mund!“, sagte sie dann dieser Erzieherstimme und unmittelbar danach fiel ihr ein, dass das doch ziemlich unfreundlich war und auch diese Stimme es wahrscheinlich nur gut meinte und fügte deshalb schnell hinzu: „Danke, dass du mir helfen willst, dankbar und zufrieden zu sein.“

Und als sie die Post fast erreicht hatte, fiel ihr auf, dass sie sich kaum befangen fühlte zwischen all den anderen und das freute sie, das Gefühl  nahe am Ziel zu sein.

Und es ärgerte sie nicht mehr so sehr, dass sie nicht aufhören konnte „nah oder weit vom Ziel“ zu denken, gut oder schlecht…

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