Ich gehe den morgendlichen Weg mit den anderen zur Uni auf leisen Sohlen, so als ob ich mich schämen würde, das herdenhaft schafhafte dieses Umstands auch noch akustisch zu untermalen. Es ist mir [trotzdem] gut gelungen, Kontakte zu schließen. All meine Ängste, was das angeht, waren rückblickend betrachtet unnötig. So ist es oft mit den Sorgen.
Meine Unitasche ist angekommen, bei Ebay ersteigert. Sie ist zu klein für Din4. Die mögliche symbolische Bedeutung, die sich mir aufdrängen möchte, schiebe ich schnell davon. Gebt mir noch ein wenig Zeit, bis mein Hirn den Aufnahmeknopf gefunden hat.
Zur Uni fahre ich mit dem Bus, meist. Das ist ganz anders, als die Bahn. Lebendiger. Unmittelbarer. Gestern bremste der Fahrer abrupt, schaltete den Bus ab und beugte sich aus dem Fenster: „Laber, laber, laber…“, rief er erbost. Alle machten große Augen und schauten raus. Zwei Autos versperrten den Weg auf der Fahrbahn, ein offensichtlicher Unfall. Die beiden Fahrerinnen standen ebenfalls auf der Fahrbahn und telefoniert wild. Der Busfahrer hatte nur angefangen: „Bei Unfällen, ohne großen Schaden, wird die Fahrbahn sofort geräumt! Das macht 35 Euro wegen Behinderung des Straßenverkehrs. Man, man, man. Laber, laber, laber…“ Die Menschen im Bus fingen sofort an zu diskutieren. Eine Frau rief laut: „Typisch Frau…aber wirklich!“ Der Busfahrer stieß auf allgemeine Bewunderung und Respekt: Na, der kann auch anders… Der ist aber sauer.“ Ich fand ihn übertrieben. Vielleicht können viele Frauen in solchen Situationen wirklich nicht pragmatisch reagieren- und müssen sie? [Nach so einem Autounfall ist es nur natürlich unter Schock zu stehen, ob nun Mann oder Frau.] Außerdem schien er mit seinem genervt-cholerischem „Laber, laber, laber..“ eigentlich seine eigene Frau zu meinen und weniger die beiden auf der Straße. Mit oder ohne Schaden waren sie beide sicher ziemlich erschrocken. Irgendwann reagierten aber auch sie und der Bus fuhr weiter.
Ein Baby fing an zu schreien. Ich schaute mich zu ihm um und lächelte ihm zu. Es schrie weiter und ich dachte: Recht hast du, schrei ruhig. Andere fingen an sich beschweren, dass muss man doch ruhig machen, das Baby. So als hätte ein Baby ein Schalter, den man nach Belieben herunterdrehen konnte. Wie sollte die Mutter das Baby beruhigen, wenn es das Busfahren war, das es hasste. Erinnerungen aus vergangenen Zeiten stiegen in mir hoch. Busfahren mit Baby war schrecklich gewesen. Wenn der Bus alle zwanzig Minuten kommt und dann schon mit einem anderen Kinderwagen besetzt ist und du mit deinem weinenden Kind noch mal zwanzig Minuten warten musst, bis du einsteigen darfst, wobei dir schon der Angstschweiß ausbricht, dein Kind könnte losbrüllen und du den gesamten Ärger der Businsassen auf dich ziehen.
Der Bus fährt die Königsbergerstraße entlang und mein Kopf möchte vervollständigen: Königsbergerklopsestraße. Denn es hört Königsberg meist im Zusammenhang mit Klopse [so als hießen die Klopse nicht nur so, weil sie aus Königsberg stammten] und weigert sich nun, es zu trennen.
„Unter den Eichen“, höre ich deutlich: Unter den Leichen und merke, ich bin irgendwie ganz woanders, auch wenn ich es mir nicht eingestehen mag.
Eine alte Dame auf einem Stock kommt so schnell sie kann, angehumpelt und mein Herz versetzt mir einen Stich. Das sollte nicht sein. Und doch begegnen mir jeden Tag alte Menschen, die Probleme haben, im Bus nicht umzufallen. Alles, was man tun kann, ist helfen und aufzustehen. Ich weiß nicht, wie sie es tun, denn schon für mich ist Busfahren manchmal eine Herausforderung, weil er so holperig fährt oder so voll ist, dass man mit seiner Tasche kaum durchkommt. Wie würde es mir gehen, mit schlechten Augen und alten Knochen?
Und dann gibt es noch die älteren Damen, denen es blendend geht, deren einziges Problem anscheinend die Langeweile ist. Sie fahren am liebsten zu den Schulstoßzeiten Bus und am besten die Route, auf der möglichst viele Schulen liegen. Die gab es zu schon zu meiner Schulzeit-ich fahre übrigens immer an dem Beethovengymnasium vorbei und lächel in Gedanken Herrn Fink zu, dem ich noch schreiben möchte, auch wenn er sich sicher nicht mehr an mich erinnern kann. Und schon damals habe ich geglaubt, dass sie nur um diese Zeit Bus fahren, um sich über uns aufzuregen.
Aufgeregt haben sich heute aber zwei jüngere: Ein Mann und eine Frau, die schnell ins Gespräch kamen über all die bekloppten Schüler, die in den Gängen stehen, ohne Platz zu machen. Ich stand zu weit, um etwas zu sagen und zu nah, um es zu überhören. Eine andere Frau drehte sich zu ihnen um und sagte: „Aber ihnen geht es gut!? Was erzählen sie denn da für einen Mist!“ Die beiden fingen an sich zu rechtfertigen und zu relativieren. Der Mann versuchte, klug zu sein und sagte: „Das sind die Fernsehlandschaften. Die machen die blöd. RTL und so. Davon bekommt man Fäkalien im Gehirn*.“ Die Held-Frau: „Nein. Nicht nur die Fernsehlandschaften. Das Problem ist doch die gesamte Gesellschaftsstruktur.“ Und es schien, dass sie noch etwas hinzufügen wollte, aber es dann sein ließ.
* Er sagte wirklich anstatt „Scheiße im Kopf“ Fäkalien im Gehirn!!