Spieglungen

von Miriamsamara

Die Spiegel* sind nicht zuverlässig. Jeder erzählt etwas anderes, je nach Verfassung und Tageszeit. Niemand hat so viele Gesichter*, wie man selbst, für die anderen sieht man dennoch recht konstant aus. Jedenfalls müssten schlimme Dinge geschehen, bis die anderen einen nicht mehr wiedererkennen, ihnen der Anknüpfungspunkte an abgespeicherte Bilder fehlen.

Ich fühle mich, als sei ich alt geworden und jemand will mir sagen, dass ich es bin und dass ich mich dagegen wehren würde, was ich nicht verstehe, denn ich mache mir selten Sorgen ums Alter, es ist einfach etwas, das an mir vorbeigeht, das mich nicht sonderlich berührt. Dieser jemand macht mich ein Jahr älter und ich glaube es ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne nachzurechnen, glaube es und er nimmt meinen Glauben, ich sei ein Jahr jünger als Beleg für die Richtigkeit seiner Behauptung. Ich zucke mit den Schultern und erst später als ich es einer Freundin erzähle, sagt sie mir: Aber das ist doch Unsinn. Du bist so alt, wie du glaubtest. Er hat sich geirrt. Kann der Doofmann nicht zählen?

Ich zucke mit den Schultern und sage: Ich anscheinend auch nicht. Am Ende ist das für mich der Beleg, dass das Alter etwas ist, was mich unberührt lässt. Nur ein wenig Sorge hatte ich, man könnte mich für eine Lügnerin halten, wenn ich seine Behauptung stimmen sollte, würde es so aussehen, als hätte ich mich ein Jahr jünger gemacht.

Ich schaue in den Spiegel und mein Gesicht hat sich verändert, zwar immer noch [fast[ faltenlos, aber dennoch nicht nach meinen Wünschen. Meine Augen sind müde und klein und das Gesicht grob, sagt der Spiegel. Mit einem Schrecken wird mir klar, dass das ich sein soll, das da gegenüber, ein fremdes Ich, das mich da anschaut.

* gilt analog für Fotoapparate [auch für digitale].